Station 7: … das brachte das Fass zum Überlaufen

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Beginn der Lesbenbewegung in den 70ern

Die Protestbewegung der 68er führte unter anderem zu mehr sexueller Offenheit und Lebensentwürfen jenseits der Kleinfamilie. Aber auch die 68er waren männlich dominiert. Dagegen begehrten einige Frauen auf, in den 1970er Jahren begann die neue Frauenbewegung. Ein wichtiges Schlüsselereignis für die Politisierung von Lesben und das Entstehen der Lesbenbewegungen war der Mordprozess gegen Judy Andersen und Marion Ihns im Jahr 1974.

Axel-Springer-Haus: Heimat der „Bild“

Die beiden Frauen ließen 1972 in Itzehoe den Ehemann von Marion Ihns ermorden. Die „Bild“ startete bereits im Januar 1973 eine dreiwöchige Serie über: „Die Verbrechen der lesbischen Frauen“. In Berlin protestierte die Frauengruppe der HAW (Homosexuelle Aktion Westberlin) u.a. mit einem Flugblatt gegen die Bild-Serie. Das Flugblatt wurde in einer Auflage von 10.000 Stück gedruckt und an sechs öffentlichen Plätzen in Berlin verteilt.

Zu Prozessbeginn am 19.8.1974 setzte die „Bild“ die Serie von diskriminierenden Artikeln fort, die sich über den gesamten Prozess hinzog.

Bild titelte mit Überschriften wie „Das Mord-Geheimnis der lesbischen Frauen“ (Bild 20.8.1974) oder „Liebe und Hass der lesbischen Frauen“ (Bild 21.8.1974) (1)

Lesbische Frauen wurden als kriminell dargestellt und dadurch diskriminiert, entwertet und diffamiert

1974 kam es dann wegen der Art der Prozessführung und wegen der Presseberichterstattung in Itzehoe zu Protestaktionen. Etwa 20 Frauen aus Hamburg und Berlin standen im Gerichtssaal auf und zeigten ihre auf T-Shirts geschriebenen Parolen: „Gegen geile Presse – für lesbische Liebe“. Die Richter verließen fluchtartig den Raum, auch die beiden angeklagten Frauen wurden in Sicherheit gebracht. Vor dem Gerichtsgebäude ging der Protest im Beisein der Medien weiter. Von diesem Tag an begannen sich Lesben verstärkt auch politisch zu organisieren und sich eigene Räume zu schaffen.

Dass Marion Ihns Mann sie vergewaltigt und misshandelt hatte, spielte im Prozess keine Rolle. Christa Reinig schrieb in ihrem Roman „Entmannung“ dazu, dass, wenn der Mann von Marion Ihns für seine Verbrechen gegen seine Frau verurteilt worden wäre, er noch leben würde. (2)

Die Lesbenbewegung entsteht

1974 organisierten HAW-Frauen das internationale Pfingsttreffen in Berlin – zum ersten Mal ausschließlich für Lesben. Das Treffen stand unter dem Motto „Homosexuelle Frauen – von der Vereinzelung zur Organisation” und „Feminismus die Theorie – Lesbischsein die Praxis?”.

„Wir sind die homosexuellen Frau’n”

Frauen aus Hamburg nahmen auch an diesem Lesbenpfingsttreffen teil. Viele Jahre später wurden diese jährlich stattfindenden Treffen in Lesbenfrühlingstreffen umbenannt, um die Veranstaltung vom christlichen Kontext zu entkoppeln.

In Hamburg trafen sich Lesbengruppen u.a. innerhalb des Frauenzentrums in der Langenfelder Straße 64d. Einigen Lesben reichte ein Lesbenort innerhalb von Frauenprojekten wie z.B. dem Frauenzentrum nicht.

Eigene Orte schaffen

Bei aller Zugehörigkeit zur Frauenbewegung – lesbische Lebensrealitäten unterschieden sich zu sehr von heterosexuellen und fanden deshalb in den Frauenorten nicht genug Raum. Nach längeren Diskussionen entschieden sich einige frauenliebende Frauen, einen eigenen Ort nur für Lesben zu schaffen. Im November 1976 wurden Räume gefunden. Das autonome Lesbenzentrum Lene (Lesbennest) zog in ein Ladenlokal in die Marktstraße Nr.39.

Weitere Orte waren die Frauenkneipe (siehe Station 8) und der Frauenbuchladen (siehe Station 9).

Kurzer Ausblick auf den Beginn der 80er Jahre

1980 gab es die erste CSD Demo in Hamburg, damals noch eine ausschließlich politische Demonstration, keine bunte Parade. Lesben nahmen gut sichtbar an der Demo teil. Abends gab es ein Lesbenfest.

Ab 1981 fanden die Hamburger Frauenwochen an der damaligen Hochschule für Wirtschaft und Politik auf dem Unigelände am Von Melle Park statt. Die 2. Frauenwoche von 1982 war explizit Lesbenthemen gewidmet.

Anfang der 80er Jahre entstanden weitere autonome Lesbenorte wie das Café endlich (siehe Station 10) und der Lesbenverein Intervention (siehe Station 11) Es würde diesen Rahmen sprengen alle ab Anfang der 80er Jahre entstandenen Frauen/Lesbenprojekte aufzuführen. Ein virtueller Stadtrundgang zu diesen Orten wäre ein weiteres Projekt. An dieser Stelle sei auf den virtuellen Stadtplan Frauenorte (4) verwiesen. Dort stehen unter anderem Informationen zu weiteren Orten der Frauen/Lesbenbewegung. Zum Frauen*bildungszentrum DENKtRÄUME siehe auch den Beitrag im Digitalen Deutschen Frauenarchiv (DDF).


Anmerkungen:

(1) siehe: Monne Kühn: „Haut der geilen Männerpresse eine in die Fresse“ in.

Gabriele Dennert, Christiane Leidinger, Franziska Rauchut  (Hrsg.innen): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Berlin 2007 S.69

und

Irene Beyer: Der „Lesbenprozess“ in Itzehoe 1974: Diskriminierung -Politisierung- Solidarisierung. In: Ihrsinn 8. Jahrgang 1997 Nr.16 S.14

(2) Christa Reinig: Die Entmannung. Die Geschichte Ottos und seiner vier Frauen erzählt von Christa Reinig. München 1977 S.78 Zitiert nach Annett Gröschner: Berolinas zornige Töchter. 50 Jahre Berliner Frauenbewegung. Berlin 2018 hrsg. vom FFBIZ Berlin S.76

(3) Frauen Zeitung, Frauenzentrum Hamburg Heft 7, Dezember 1976  S.28/29

(4) https://frauenorte-hamburg.de/


Literatur:

https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/hamburger-frauenwoche

Monne Kühn: „Haut der geilen Männerpresse eine in die Fresse“ in.

Gabriele Dennert, Christiane Leidinger, Franziska Rauchut  (Hrsg.innen) In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Berlin 2007 S.68-72

Irene Beyer: Der „Lesbenprozess“ in Itzehoe 1974: Diskriminierung –Politisierung – Solidarisierung. In: Ihrsinn 8. Jahrgang 1997 Nr.16

https://www.academia.edu/24217779/Die_Kriminelle_Lesbe_Die_Kriminalisierung_des_lesbischen_Subjekts_in_den_1970er_Jahren_in_der_Bild_Zeitung


Bildnachweis:

Fotos von der Rückseite der Schallplatte: Cristina Perinciolli, sonstige Fotos Reingard Wagner


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