Station 2: Lesbische Liebe um 1900

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Um 1900 ist lesbische Liebe nicht mehr verboten. Doch sie ist nach wie vor ein Tabu. Deshalb halten sich frauenliebende Frauen aus der Frauenbewegung mit Äußerungen zu ihren privaten Beziehungen bedeckt, um nicht angefeindet zu werden, aber auch um zu vermeiden, dass die Frauenbewegung in ein schlechtes Licht gerät.

Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg

Dort, wo jetzt die Europapassage steht, gab es damals ein „Frauenzentrum“, initiiert und betrieben von Lida Gustava Heymann. Sie lebte und arbeitete mehr als 40 Jahre mit ihrer Freundin Anita Augspurg zusammen. Ein weiteres Frauenpaar, das in einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft lebte, waren Helene Lange und Gertrud Bäumer.

Aus der Zeit zwischen 1700 und dem Ende des 19. Jahrhundert kennen wir keine lesbisch lebenden Frauen in Hamburg. Inzwischen hat die industrielle Revolution stattgefunden, die Gesellschaft hat sich verändert. Die Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft und die Trennung von Privat- und Arbeitsleben geht mit klaren geschlechtlichen Rollenzuschreibungen einher. Männer sind erwerbstätig, die Frauen sollen sich zuhause um das Familienleben kümmern. Den Geschlechtern werden bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, zum Beispiel, dass Männer rational und Frauen emotional sind.

Leben in Arbeits- und Lebensgemeinschaften

Ende des 19. Jahrhunderts ist homosexuelle Liebe zwischen Männern und lesbische Liebe zwischen Frauen aber nach wie vor ein Tabu. Männliche Homosexualität wird nach dem §175 bestraft. Lesbische Liebe fällt nicht unter diesen Paragraphen, vielfach wird Liebe zwischen Frauen einfach nicht ernstgenommen. Sowohl männliche wie weibliche Homosexualität wird durch Mediziner und Psychologen erforscht und unterschiedlich bewertet, zum Teil wohlwollend, zum Teil abwertend.

Die Frauenbewegung kämpfte um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hauptsächlich für Bildung und für das Frauenwahlrecht.

In der Frauenbewegung gab es einige Frauenrechtlerinnen, die in Beziehungen miteinander lebten. Sie hielten diese aber aus Angst vor Stigmatisierung ihrer Person aber auch der Frauenbewegung geheim. Einige lebten in sogenannten Arbeits- und Lebensgemeinschaften.

Bedeutende Frauenpaare

Exemplarisch werden hier zwei einflussreiche und bedeutende Frauenpaare vorgestellt, die zeitweilig in Hamburg lebten und  frauenpolitisch aktiv waren. Für beide Paare gibt es allerdings keine eindeutigen Zeugnisse dafür, dass sie Liebesbeziehungen hatten.

Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg

Lida Gustava Heymann (15.3.1868 Hamburg – 31.7.1943 Zürich) und Anita Augspurg (22.9.1857 Verden an der Aller – 21.12.1943 Zürich) gehörten zum radikalen Flügel der Frauenbewegung.

Die Journalistin Lida Gustava Heymann hatte von ihrem Vater sechs Millionen Reichsmark geerbt. Sie musste dafür streiten, ihr Erbe antreten zu dürfen, da das Gesetz eine Frau als Erbin nicht vorsah. Sie war erfolgreich und setzte ihr Erbe für die Errichtung eines „Frauenzentrums“ ein. Das Gebäude stand in der Paulstr. 25/9 – dort steht jetzt die Europapassage. Im Frauenzentrum gab es u.a. Beratung, Essen für Frauen und Kinder, frauenpolitische Vorträge und Kulturveranstaltungen sowie einen Kindergarten.

Eine Plakette in der Europapassage erinnert an Lida Gustava Heymanns Wirken an dieser Stelle, ebenso die Heymannstraße in Hamburg Eimsbüttel.

Heymanns Arbeits- und Lebensgefährtin Anita Augspurg promovierte im Kaiserreich als erste Frau im Fach Jura.

Herausgeberinnen der Zeitschrift „Die Frau im Staate“

Zusammen gaben die beiden die Zeitschrift „Die Frau im Staate“ heraus und engagierten sich in Zusammenarbeit mit sozialistischen Parteien für das Frauenstimmrecht. (1) 1902 gründeten sie im vergleichsweise liberalen Hamburg den „Deutschen Verein für Frauenstimmrecht“.

Beide Frauen waren zudem Pazifistinnen und viele Jahre in der Frauenfriedensbewegung bei der IFFF (Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit) aktiv. 1915, also noch während des 1. Weltkriegs, waren beide an der Organisation der großen Frauenfriedenskonferenz in Den Haag beteiligt.

Während der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 31.1.1933 waren die beiden Pazifistinnen und Nazi-Gegnerinnen im Urlaub und kehrten nicht nach Deutschland zurück, sondern lebten fortan im Exil in der Schweiz. Die Nationalsozialisten beschlagnahmten ihr gesamtes Guthaben und ihr Archiv. Mit der Unterstützung von Freundinnen konnten sie überleben. Beide starben 1943 in der Schweiz.

Helene Lange + Getrud Bäumer

Helene Lange (9.4.1848 – 13.5.1930) und Gertrud Bäumer (12.9.1873 – 25.3.1954) zählten zu den bekanntesten Frauenrechtlerinnen des Kaiserreiches. Sie gehörten zum gemäßigten, bürgerlichen Flügel der Frauenbewegung. Beide begannen ihre berufliche Laufbahn als Lehrerinnen.  Später gehörten sie zu den ersten weiblichen Berufspolitikerinnen der Weimarer Republik.

Von 1916 bis 1920 lebten sie in Hamburg. Helene Lange war für die DDP (Deutsche Demokratische Partei) in der Bürgerschaft. Von März 1919 bis Dezember 1920 war sie deren Alterspräsidentin, bevor sie mit Gertrud Bäumer nach Berlin zog.

In Hamburg erinnern unter anderem das Helene-Lange-Gymnasium und die Helene-Lange-Straße an die Frauenrechtlerin. Lange und Bäumer engagierten sich für Mädchen- und Frauenbildung. Sie gaben die ZeitschriftDie Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit“ heraus. (2) Gertrud Bäumer gründete und leitete die Soziale Frauenschule und das Sozialpädagogische Institut in Hamburg.

Zeit ihres Lebens hielten Helene Lange und Gertrud Bäumer ihr Privatleben geheim, um der ohnehin attackierten Frauenbewegung keine weitere Angriffsfläche zu bieten. 


Anmerkungen:

(1) Titelbild: Die Frau im Staate hier:

https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/input_felder/anzeigen.php?verzeichnis=med&dateiname=med2647.jpg&bild_id=2647)

(2) https://frauenmediaturm.de/historische-frauenbewegung/zeitschrift-die-frau-monatsschrift-1893-1944/


Literatur:

Lida Gustava Heymann/Anita Augspurg

Margit Twellmann (Hrsg.): Erlebtes-Erschautes. Heymann- Memoiren. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden 1850-1940 Lida Gustava Heymann in Zusammenarbeit mit Dr. jur. Anita Augspurg.  Meisenheim am Glan 1977

Christiane Henke: Anita Augspurg. Reinbek bei Hamburg 2000

“Verlaß ist nur auf unsere eigne Kraft!”: Lida Gustava Heymann – eine Kämpferin für die Frauenrechte. Verfasst von: Himmelsbach, Christiane
Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg. 1996

Sabine Hoffkamp, Monika Pater: Raum-Visionen. Frauenbewegte Räume zweier Mobilisierungsphasen der Frauenbewegung in Hamburg. In: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 2015. Heft 67/68 S.144-153

https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/lida-gustava-heymann

https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/lida-gustava-heymann/

https://geschichtsbuch.hamburg.de/wp-content/uploads/sites/255/2020/11/Lida-Gustava-Heymann-Bio.pdf

https://dewiki.de/Lexikon/Lida_Gustava_Heymann

Helene Lange/Gertrud Bäumer

Angelika Schaser: Helene Lange und Gertrud Bäumer. Eine politische Lebensgemeinschaft. Köln, Weimar, Wien, 2010

Margit Göttert: Macht und Eros. Frauenbeziehungen und weibliche Kultur um 1900 – eine neue Perspektive auf Helene Lange und Gertrud Bäumer. Königstein/Taunus 2000

https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/helene-lange

https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/gertrud-baeumer/

Ilse Kokula: Weibliche Homosexualität um 1900 in zeitgenössischen Dokumenten. München 1981


Bildnachweis:

Foto von Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg Fotografin unbekannt, Rechte beim AddF Kassel; Foto »Lida Gustava Heymann Plakette Europapassage« Reingard Wagner; Buchtitel Lange Bäumer Privatarchiv Karen Hagemann, Foto vom Buchtitel Annette Falck.


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