Station 6: Ika-Stuben – die verlängerte Wohnstube

> zurück zur Karte

Lesbenlokale waren, neben Kontaktanzeigen in einschlägigen Zeitschriften, die einzige Möglichkeit, andere Lesben kennenzulernen und unter sich zu sein. Das bekannteste Lokal waren die Ika-Stuben in der Budapester Straße 38. Am 15.9.1950 eröffneten die Ika-Stuben, anfangs als Konditorei getarnt. Für viele Frauen wurde die Damenbar zum verlängerten Wohnzimmer.

Die Einrichtung der Ika-Stuben bestand aus roten Plüschsesseln in kleinen Separees. Die Frauen kannten sich untereinander und die jeweilige Barbesitzerin stand im Mittelpunkt.

Von Anfang an gab es Schwierigkeiten: Voyeure versuchten, in das Lokal zu gelangen. Deshalb engagierte die erste Besitzerin zum Schutz für ihre Besucherinnen einen männlichen Portier. Er wimmelte Voyeure an der Tür ab. Später, als auch Musik aufgelegt wurde, kamen Schwierigkeiten mit den Nachbar:innen wegen der Lautstärke dazu.

Die Ika-Stuben damals… und Heute…

In den Ika-Stuben verkehrten überwiegend unpolitische Frauen, die Spaß miteinander haben wollten und aus ihrem Lesbischsein kein Politikum machten.

Die meisten Besucherinnen kleideten sich nach den heterosexuellen Rollenklischees: die feminine Femme und der maskuline Kesse Vater (KV). Die klassische heterosexuelle Rollenverteilung wurde erst mit der neuen Frauenbewegung hinterfragt, besonders von den Bewegungslesben.

Nach 47 Jahren, im August 1997, mussten die Ika-Stuben schließen. Die Musik war den Nachbar:innen zu laut geworden – der Pachtvertrag wurde gekündigt.

Die Besucherinnen der Ika-Stuben waren nun heimatlos, da sie sich an den anderen Lesbenorten wie dem Haus drei, der Frauenkneipe und der Seute Deern nicht wohlfühlten.

Eine Frau, die die Geschichte der Ika-Stuben prägte, ist Ingrid Liermann, (*18.4.1926 Hamburg † 12.4.2010 Hamburg). Zunächst arbeitete sie als Kellnerin in den Ika-Stuben, von 1966 bis 1980 war sie Inhaberin der Bar.

Ingrid Liermann (Bilder Privatarchiv)

Ingrid Liermann wurde nichtehelich geboren und stand aufgrund der damaligen Gesetzgebung bis zu ihrer Volljährigkeit 1947 unter der Aufsicht des Jugendamtes.

Als Jugendliche absolvierte Ingrid Liermann, wie in Nazi-Deutschland üblich, ein Pflichtjahr bei einer Familie auf dem Land. Nachdem sie zum zweiten Mal vor den Belästigungen des Bauern geflohen war, entzog das Jugendamt Ingrids Mutter 1941 die Erziehungsberechtigung. Ingrid lebte immer wieder in Erziehungsheimen – unter katastrophalen Bedingungen. Aus den Erziehungsheimen Averhoffstraße und Schwanenwik floh sie. Außerdem musste sie Zwangsarbeit bei den Kühne Werken leisten. Sie entging nur knapp der Sterilisation. Erst 1947, als sie 21 Jahre und damit volljährig wurde, war ihre Klage gegen ihre Entmündigung erfolgreich.

„Ingrid war eine Vorkämpferin für das Recht auf eine gleichgeschlechtliche Lebensweise ohne weltanschaulichen oder parteipolitischen Hintergrund und bleibt als solche in Erinnerung.“  (1)

„Und da gibt es noch Menschen, die sagen, den Holocaust gab‘s nicht. Und auch daß wir wieder aufpassen müssen. Wir gehen schon wieder auf Juden, auf Ausländer los. Daß man nichts gelernt hat daraus.“  (2)


Anmerkungen:

(1) Katja Nicklaus in: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/ingrid-sonja-liermann abgerufen am 30.12.21

(2) Interview mit Ingrid Liermann vom 23.11.1994 von Petra Vollmer (unveröffentlichtes Transkript), S. 32 zit. nach s.o.


Literatur:

Katja Nicklaus M.A. (2018): Ingrid Sonja Liermann, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv

https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/ingrid-sonja-liermann abgerufen am 30.12.21

https://www.feminitemuseum.de/post/ingrid-sonja-liermann

Hamburger Morgenpost 11.8.1997 über den letzten Abend in den Ika-Stuben

www.mopo.de/–ika-stuben—hamburgs-aeltester-damen-treff-schliesst—der-letzte-abend-in-der-lesben-kneipe–19115536 abgerufen am 14.12.21

Bernhard Rosenkranz, Ulf Bollmann, Gottfried Lorenz: Homosexuellen Verfolgung in Hamburg. Hamburg 2009


Bildnachweis:

Innenansicht Ika-Stuben und Ingrid Liermann Privatarchiv Katja Niklaus, neue Fotos Reingard Wagner


> zurück zur Karte

Kommentare sind geschlossen.