Station 5: … unerwünscht, unsichtbar und dennoch da

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In den 1950er und 60er Jahren war lesbische Liebe stigmatisiert. Offen lesbisch lebende Paare bekamen keine gemeinsame Wohnung und waren am Arbeitsplatz von Kündigung bedroht. Die lesbisch-schwule Kultur keimte wieder auf, mit „Wir Freundinnen“ erschien die erste Hamburger Lesbenzeitschrift.

Reingard Wagner zu „Spuren lesbischen Lebens“ und der Nachkriegszeit

In den Jahren nach 1945 war der Frauenanteil in der Bevölkerung hoch, viele Männer waren im Krieg gefallen. Es war nicht ungewöhnlich, dass zwei Frauen zusammenlebten, auch, weil durch den 2. Weltkrieg Wohnhäuser zerstört worden waren und dadurch Wohnraum knapp war. Viele lesbische Frauen hatten keine eigene Wohnung, sie lebten entweder zu Hause oder zur Untermiete. Als Paar hätten sie keine Wohnung bekommen, da lesbische Liebe gesellschaftlich stigmatisiert war und als sittenwidrig galt. Die gesellschaftliche Atmosphäre der 1950er Jahre war geprägt von einer aggressiven Familienpolitik, in der gleichgeschlechtlich lebende Menschen nicht vorkamen.

Trotzdem lebte nach dem Krieg die lesbisch-schwule Kultur wieder auf, u.a. in der Neustadt.  Im Stadtkasino am Großneumarkt/Ecke Alter Steinweg trafen sich Lesben und Schwule, Donnerstagabends wurde dort ein Tanzcafé ausschließlich für Lesben angeboten.

Der auf St. Pauli ansässige Verlag Charles Grieger verlegte Zeitschriften für schwule Männer. Dort erschien 1951/1952 auch die erste Lesbenzeitschrift: „Wir Freundinnen”.

Im Oktober 1951 stellt sich die Zeitschrift wie folgt vor:

„Ich bin eine neue Zeitschrift für Frauen. Schon wieder eine! denkst Du, geneigte Leserin, und schüttelst mißbilligend Deinen (sicherlich hübschen) Kopf; gibt es denn derer nicht nachgerade genug?

Aber nicht der Liebe schlechthin will ich dienen. Nicht jener Liebe, die ein Nietzsche ein Gefühl im Hausrock genannt hat; die – so sehr verkannt und doch so schön – einst ein Weib besungen hat, das es verstand, weibliche Zartheit mit männlicher Kraft zu vereinen und das derart zu größten Dichterin aller Zeiten wurde: Dir, unsterbliche Sappho, will ich dienen (…)”(1)

Die Redakteurin Mary Ronald schrieb unter dem Pseudonym Charlotte Monat für Monat ihre Begrüßungen an die geneigte Leserin.

Die Zeitschrift wurde nicht nur in der Bundesrepublik gelesen. Sie wurde in die Schweiz, die Niederlande, nach Schweden, Norwegen, Dänemark, England und Österreich verschickt. Sie ist eine wichtige Quelle zum lesbischen Leben in den 1950er Jahren, nicht nur in Hamburg.

So konnte z.B. Lesbischsein ein Kündigungsgrund sein. In einem Leserinnenbrief schreibt eine Frau:

„Dann kam der schwärzeste Tag in meinem Leben: Ich wurde von meiner Freundin aufgefordert, alles im Stich zu lassen; wenn ich es nicht tun würde, müßte ich mit dem Schlimmsten rechnen. Und tatsächlich, es flogen Briefe auf die Redaktionstische, die das Heiligste preisgaben. Innerhalb kurzer Zeit verlor ich tatsächlich bald meine Existenz. Ich war erschüttert.” (2)

Parship für Lesben gab es damals noch nicht, dafür Kleinanzeigen (3):

Weihnachten 1951 fordert der Bonner Amtsgerichtsrat Richard Gatzweiler aus NRW, den §175 auch auf Lesben anzuwenden.

Die Zeitschrift „Wir Freundinnen“ übernimmt in ihrer dritten Ausgabe daraufhin einen Leitartikel aus der schwulen Zeitschrift „Die Freunde“. Der Artikel wendet sich gegen Gatzweilers hasserfüllten Aufruf und wirbt für die Entkriminalisierung von und für Verständnis für homosexuelle Liebe. Neben dem Artikel steht der Aufruf zu einem Kampffonds gegen Gatzweiler (4):

Wie viel Unterstützung tatsächlich geleistet wurde, lässt sich nicht nachverfolgen.

Politische Artikel waren in der Zeitschrift „Wir Freundinnen“ eher selten. Das Magazin fokussierte auf die individuellen Lebenssituationen lesbischer Frauen, die stark durch das Lesben feindliche Umfeld und auch durch Isolation geprägt waren.

Die Zeitschrift hatte A5 Format, damit sie auch diskret in die Handtasche passte und wurde auf Wunsch im verschlossenen Umschlag an Abonnentinnen  versendet.


Anmerkungen:

(1) Wir Freundinnen 1. Jahrgang Nr.1 Oktober 1951 S.4

(2) Wir Freundinnen 2. Jahrgang Nr. 3 März 1952 S.25

(3) Wir Freundinnen 1. Jahrgang Nr. 1 Oktober 1951 S.25

Lesben und Schwule schlossen sogenannte Kameradschaftsehen um nach Aussen hin den Schein zu waren.

(4) Wir Freundinnen 2. Jahrgang Nr. 1 Januar 1952 S.24


Literatur:

Kirsten Plötz: Als fehle die bessere Hälfte. „Alleinstehende“ Frauen in der frühen BRD 1949-1969,Königstein 2005

Dank an Katja Nottelmann für den Hinweis auf die Zeitschrift: „Wir Freundinnen“


Bild-/Videonachweis:

Fotos Reingard Wagner; Film von Maxime Lequeux und Emilia Tschertkowa


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