Station 3: Goldene 20er?

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In den sogenannten Goldenen 1920er Jahren verdiente die moderne Frau ihren Lebensunterhalt selbst, Lesben zeigten sich in der Öffentlichkeit, die lesbisch-schwule Subkultur entwickelte sich. Golden waren die 1920er für viele dennoch nicht.

Die Goldenen Zwanziger?

Das Hildebrandhaus im Neuen Wall: Hier haben Frauen in den 1920er Jahren Arbeit gefunden

Die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts werden gerne als Goldene Jahre bezeichnet. Berufstätige Frauen wurden nach und nach akzeptiert. Es gab mehr Berufe, die sie ausüben konnten, besonders im Angestelltenbereich. Frauen arbeiteten als Verkäuferin, Sekretärin oder im Kontor. (1)

Es wurde von der modernen Frau gesprochen, die beruflich und privat eigenständig sei. Allerdings verdienten Frauen auch damals weniger als Männer. (2) Alleinlebende Frauen konnten sich selten eine eigene Wohnung leisten, sondern wohnten oft bei der Familie, bei Verwandten oder zur Untermiete. (3)

Die Sexualmoral wurde in den 20er und beginnenden 30er Jahren etwas freier. Lesbisch lebende Frauen traten im öffentlichen Leben in Erscheinung, wenn auch nicht ohne Anfeindungen. In Berlin entstand eine lesbische und schwule (Sub)Kultur mit Clubs, Bars, Zeitschriften von und für Lesben. In der Hauptstadt des Deutschen Reichs wurden die Zeitschriften „Die Garconne“ und „Die Freundin“ herausgegeben. Ob auch in Hamburg lesbische Zeitschriften zu dieser Zeit verlegt wurden, ist bisher nicht bekannt, aber die Berliner Zeitschriften wurden auch in Hamburg gelesen.

Der Roman von Anna Elisabet Weyrauch: „Der Skorpion“ (1919), der lesbische Liebe thematisiert, spielt zum Teil in Hamburg und war vermutlich Hamburger Lesben bekannt. (4)

In Hamburg gab es wie in Berlin ein reges lesbisches und schwules Kulturleben. Frau ging ins Haus Vaterland, einem Kabarett- und Varietétheater an der Binnenalster (wo heute die Europapassage steht) und lauschte der lesbischen Sängerin Claire Waldoff (1884 – 1957).

Das Kabarett- und Varietétheater «Haus Vaterland» an der Binnenalster

In den Kammerspielen wurde 1925 das Theaterstück „Anja und Esther“  vom schwulen Klaus Mann aufgeführt, in dem es um die intime Beziehung zwischen zwei Frauen geht. Inszeniert wurde das Drama vom ebenfalls schwulen Gustaf Gründgens. Die Hauptrolle spielte Klaus´ lesbische Schwester Erika Mann. (5) Die Kritiken fielen sehr unterschiedlich aus. (6)

Erika Mann und Gustaf Gründgens heirateten am 24. Juli 1926. Und lebten eine Zeit lang in der gemeinsamen Wohnung in der Oberstraße 125 in Harvestehude. Die Ehe verlief nicht glücklich und wurde bald wieder geschieden. Eigentlich war Erika Mann in die Schauspielerin Pamela Wedekind (P.M.) verliebt. Während der Hochzeitsreise mit Gründgens nach Friedrichshafen schrieb Erika Mann an P.M.:

„Und jetzt sind wir einfach im Kurgartenhotel, wo groß und klein uns frivol behandeln muß, da niemand und der Klügste nicht, den Ehestand uns glauben kann. Aber daß wir (Du und ich) in der Kurliste des vorigen Monats stehen – ich als Schauspielerin und Du als Herr Wedekind aus München ist mir lieb. Meine Pamela, bitte, bitte komm bald. So schrecklich gern möchte ich es, weil ich Dich eben doch über die Maßen liebe.“ (7)

1929 lief im Ufa-Filmpalast am Gänsemarkt die Ufa-Produktion „Die Büchse der Pandora“. Darin geht es um die unerfüllte Liebe der Gräfin Geschwitz zu der Hauptfigur Lulu. In Deutschland wurde der Film vollständig und unzensiert gezeigt. Von den Nationalsozialisten wurde er später verboten. (8)

Der international erfolgreiche Film „Mädchen in Uniform“ (1931) unter der Regie von Leontine Sagan nach dem Theaterstück „Gestern und Heute“ von Christa Winsloe, mit Hertha Thiele und Dorothea Wieck in den Hauptrollen lief vermutlich auch in Hamburger Kinos. In dem Internatsfilm geht es, neben der Kritik an dem autoritären preußischen Erziehungssystem, um die unglückliche Liebe einer Schülerin zu ihrer Lehrerin. Der Film wurde 1931 von der Filmprüfstelle mit Jugendverbot belegt. (9) Inzwischen ist der Film Kult und gilt als erster deutscher Lesbenfilm überhaupt.

Das Haus am Brahmsplatz bot damals gewerkschaftlichen Organisationen Platz. Es steht symbolisch für das Anwachsen der weiblichen Angestellten und die zunehmende Organisation von Frauen in den 1920er bis 1930er Jahren: Jede vierte weibliche Angestellte war gewerkschaftlich organisiert.

Es ist anzunehmen, dass viele Lesben sich den Eintritt für Theater und Kino nicht leisten konnten. Vermutlich gingen sie in Clubs oder Tanzlokale im Gängeviertel in der Hamburger Alt- und Neustadt. Leider sind bisher über diese Orte keine Unterlagen bekannt. Die Historikerin Ilse Kokula befragte Zeitzeuginnen. Eine von ihnen berichtete von einem Kellerlokal in der Wexstraße, von der „Goldenen13“ und einem Lokal am Raboisen. (10)

In der Weltwirtschaftskrise 1929 (Schwarzer Freitag) schnellte die Arbeitslosigkeit in die Höhe. Berufstätigen Frauen wurde vorgeworfen, den Männern die Arbeitsplätze wegzunehmen. Nicht nur Männer, auch sehr viele Frauen verloren ihre Jobs. Unterm Strich waren die Zwanziger nur für wenige golden.


Anmerkungen:

(1) Die Anzahl der weiblichen Angestellten nahm überproportional zu „Während sich die Zahl der männlichen Angestellten zwischen 1907 und 1925 verdoppelte, hat sich die Zahl der weiblichen Angestellten im gleichen Zeitraum verdreifacht. ….Anfang der dreißiger Jahre…[war]  jede dritte von insgesamt 3,5 Millionen Angestellten inzwischen eine Frau.   Sekretärin, Kontoristin und Verkäuferin hatten sich in dieser Zeit zu den typischen Frauenberufen entwickelt.“

In: Maren Dorner, Katrin Völkner: Lebenswelten der weiblichen Angestellten: Kontor, Kino und Konsum?
In: Petra Bock, Katja Koblitz (Hrsg): Neue Frauen zwischen den Zeiten. Berlin 1995 S. 84-111 hier S. 88

(2) Frauen verdienten für die gleiche Tätigkeit  „10 bis 15% weniger Gehalt“ In: Maren Dorner, Katrin Völkner: Lebenswelten der weiblichen Angestellten: Kontor, Kino und Konsum? In: Petra Bock, Katja Koblitz (Hrsg): Neue Frauen zwischen den Zeiten. Berlin 1995 S. 84-111 hier S. 89

(3) „1930 lebte nur jede zehnte Angestellte in einer eigenen Wohnung“

In: Maren Dorner, Katrin Völkner: Lebenswelten der weiblichen Angestellten: Kontor, Kino und Konsum?
In: Petra Bock, Katja Koblitz (Hrsg): Neue Frauen zwischen den Zeiten. Berlin 1995 S. 84-111 hier S. 88

Die Autorinnen beziehen sich auf eine Studie von Susanne Suhr: Die weiblichen Angestellten. Arbeits- und Lebensverhältnisse, hg. Von ZdA, Berlin 1930 S.7-45

(4) https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/der-skorpion-eine-romantrilogie-von-anna-elisabet-weirauch

(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Anja_und_Esther

(6) siehe: Irmela von der Lühe: Erika Mann. Eine Biographie. Frankfurt am Main 1997 (Taschenbuchausgabe) S.42f

(7) Erika Mann: Briefe und Antworten 1922-1950 München 1988 S.13 hrsg. von Anna Zanco Prestel

(8)https://de.wikipedia.org/wiki/Die_B%C3%BCchse_der_Pandora_%28Film%29

(9) https://www.filmportal.de/film/maedchen-in-uniform_156e4f5f956a49e5bec7fda0557b5a8a

(10) Ilse Kokula: Jahre des Glücks, Jahre des Leids. Gespräche mit älteren lesbischen Frauen. Dokumente. Kiel 1990 S.79


Literatur:

Ilse Kokula: Jahre des Glücks, Jahre des Leids. Gespräche mit älteren lesbischen Frauen. Dokumente. Kiel 1990

Irmela von der Lühe: Erika Mann. Eine Biographie. Frankfurt am Main 1997 (Limitierte Sonderausgabe)

Petra Bock, Katja Koblitz (Hrsg): Neue Frauen zwischen den Zeiten. Berlin 1995


Bildnachweis:

Foto «Hildebrandhaus» Reingard Wagner; «Haus Vaterland» www.hamburg-bildarchiv.de; Bilder »Claire Waldoff« und «Haus am Brahmsplatz/ehemaliges DAG Haus» Annette Falck


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