Station 4: Lesben während der NS-Zeit

… und dennoch verfolgt …

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Während des Nationalsozialismus wurden lesbische Bars geschlossen und lesbische Zeitschriften verboten. Lesbische Frauen wurden entmündigt, in psychiatrische Anstalten sowie in das Konzentrationslager Ravensbrück und ins Jugend-KZ Uckermark gebracht und zum Teil ermordet. Noch heute streiten Wissenschaftler*innen darüber, ob Lesben eine eigene Opfergruppe darstellen, da sie nicht unter den § 175 fielen. Die Nazis kategorisierten sie vielfach als „asozial“, aber sie waren auch in anderen Häftlingsgruppen zu finden. Die Bundesrepublik Deutschland hat den lesbischen Opfern des Nationalsozialismusso gut wie keine Entschädigung gezahlt.

Karin Schönewolf zu „Spuren lesbischen Lebens“ und der Verfolgung im Nationalsozialismus

Der Hummelbrunnen steht im ehemaligen Gängeviertel. (1) Hier wohnten Menschen mit wenig Geld auf engem Raum, u.a. Kommunist*innen, Schwule, Lesben, Menschen jüdischen Glaubens, Prostituierte, Arbeiter*innen und auch Nationalsozialist*innen. Das Stadtteil war unübersichtlich und schwer zu kontrollieren.

1934-37 wurde das Gängeviertel in der Neustadt-Nord endgültig abgerissen. Diese „Sanierung“ hatte schon früher begonnen, wurde aber von den Nazis zügig vorangetrieben, sicher auch mit dem Ziel, das Wohnviertel besser kontrollieren zu können. Gleichzeitig waren die hygienischen Bedingungen im Gängeviertel so katastrophal, dass die Modernisierung auch zu einer Verbesserung der Wohnbedingungen führte. Ziel war es zudem, eine „heimelige“ Atmosphäre zu schaffen.

Lesben wurden während der Herrschaft des Nationalsozialismus zwar nicht offiziell verfolgt – sie fielen nicht unter den §175 – dennoch wurde ihr Leben massiv eingeschränkt. (2) Die Bars wurden geschlossen und die Zeitschriften verboten.

Eine Zeitzeugin berichtet:

“Da zog man sich zurück (…) Da trafen wir uns nur noch privat und gingen nicht mehr in die Öffentlichkeit (…) Man blieb unter sich und auch das hörte auf (…) Da habe ich jeglichen Kontakt mit lesbischen Frauen verloren (…) Alles war ohne Lesbischsein und ohne Frauen. Ich habe aber die Frauen mit lesbischen Augen betrachtet.” (3)

Nochmal zum §175

Männer betrieben Unzucht…

In einem Brief vom 18.6.42 schreibt der Reichsminister der Justiz an den Reichskommissar für die besetzten norwegischen Gebiete, warum Lesben nicht unter den § 175 fallen:

„….Der wichtige Grund für die Strafbarkeit der Unzucht zwischen Männern, der in der Verfälschung des öffentlichen Lebens durch die Schaffung von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen liegt, trifft bei Frauen wegen ihrer weniger maßgebenden Stellung in staatlichen und öffentlichen Ämtern nicht zu. Endlich sind Frauen, die sich einem widernatürlichen Verkehr hingeben, nicht in dem Maße wie Homosexuelle Männer für immer als Zeugungsfaktoren verloren. Da sie sich erfahrungsgemäß oft später wieder einem normalen Verkehr zuwenden“ (4)

… Frauen waren „asozial“

Ilse Kokula forschte zu Lesbengeschichte
Ilse Kokula forschte zu Lesbengeschichte

Lesbischsein wurde als Krankheit und „asoziales“ Verhalten eingestuft und diffamiert, da die lesbisch lebenden Frauen nicht dem Frauenbild der Nationalsozialisten entsprachen und nicht zur „Vermehrung“ der Deutschen beitrugen. Es lassen sich für das Konzentrationslager Ravensbrück lesbische Häftlinge nachweisen, die den schwarzen Winkel für “Asoziale” trugen. Sie waren aber auch unter den anderen Häftlingsgruppen vertreten.

Auch in den Erziehungsheimen der Hansestadt war lesbische Liebe verboten und wurde bestraft: Die Zeitzeugin Valeska Dorn berichtet dazu in ihren Erinnerungen aus dem Mädchenheim in der Feuerbergstraße (1939-1942):

„Trotz aller Strenge und Bewachung konnte man die Aufseherinnen an der Nase rumführen. Bei allem Mist war meine schönste Zeit in der Waschküche. Da waren alle die zusammengewürfelt, die zwecklos waren und gefährlich für die andere Gruppe, da waren die untauglichsten, wo selbst die Erzieherinnen Angst vor hatten und Schiß.“

Und:

„Zwei Tage vorher bin ich mit meiner Waschküchenliebe in der Waschtrommel erwischt worden. Vier Tage Bunker, Ingrid ab nach Farmsen, war zehn Jahre älter.“ (5)

Das Versorgungsheim Farmsen hatte 1936 ungefähr 1600 Plätze für sogenannte „Asoziale und moralisch Schwachsinnige“, wie die Nazis Menschen bezeichneten, die nicht der nationalsozialistischen Ideologie entsprachen oder nach ihr lebten. Von Farmsen aus wurden viele Menschen zumeist in psychiatrische Anstalten deportiert, in denen sie planmäßig getötet wurden.

Auswirkungen auch nach 1945

Viele junge Frauen, die gegen die von den Nationalsozialisten aufgestellten Regeln verstießen, wurden ab 1942 in das an das Konzentrationslager Ravensbrück angrenzende Jugend-KZ Uckermark verbracht.

Frauen, die als „asozial“ eingestuft worden waren, hatten nach 1945 große Schwierigkeiten, wieder ein normales Leben zu führen. Viele waren entmündigt worden und es war ein mühsamer Prozess, die Mündigkeit wiederzuerlangen und sich ein neues, eigenständiges Leben aufzubauen. Es gibt für diese Häftlingsgruppe so gut wie keine Wiedergutmachung durch die deutschen Behörden. Die Atmosphäre der Nachkriegsjahre war homophob und nicht dazu geeignet, sich als Lesbe zu outen oder Entschädigungsansprüche geltend zu machen. (6)

Bis heute streiten Wissenschaftler*innen darüber, ob Lesben eine eigene Opfergruppe darstellten oder nicht, da sie eben nicht unter den §175 fielen, sondern aus anderen Gründen inhaftiert wurden. Sie wurden vielfach, aber nicht ausschließlich, als „asozial“ kategorisiert und inhaftiert.

Dennoch haben u.a. engagierte Forscher*innen durchsetzen können, dass es in Hamburg Stolpersteine für lesbische Frauen gibt. In der Peterstraße 28 (ehemals 66) liegt einer davon. Am 2. August 2009 wurde er im Rahmen einer würdigen Gedenkfeier enthüllt. Er erinnert an Anna Eismann, geb. Hustedt (geboren 1903 – ermordet 5.10.1942).

Wir wissen etwas über sie, weil sie straffällig geworden war und die Akten noch vorhanden sind.

Sie war aufgrund von Diebstählen und der Tatsache, dass sie als Prostituierte arbeitete und sich dabei der staatlichen Kontrolle entzog, polizeilich bekannt. In Prozessakten zu einem Diebstahlsprozess von 1937 steht, dass sie ein lesbisches Verhältnis gehabt haben soll. Sie kam als „moralisch schwachsinnig“ eingestuft in Vorbeugehaft ins Polizeigefängnis Hütten (Hütten 42) und wurde 1939 unter der Kategorie „Asozial“ nach Ravensbrück gebracht. Am 5.Oktober 1942 wurde sie im KZ Ausschwitz ermordet. (7)

ehemaliges Polizeigefängnis Hütten

Gedenken und Erinnerung hoch halten

In der Gedenkstätte Ravensbrück wurde nach langen Auseinandersetzungen, im Rahmen der Gedenkfeier zur Befreiung des Frauenkonzentrationslagers im April 2022, endlich auch offiziell der Lesben gedacht. Da die vorgesehene Gedenkkugel in der Produktion beschädigt wurde und eine Neue nicht rechtzeitig produziert werden konnte, gab es für die Gedenkfeier vorläufig eine Glasplatte. Die Inschrift, die auch auf der Gedenkkugel stehen wird, lautet:

„In Gedenken aller lesbischen Frauen und Mädchen im Frauen-KZ Ravensbrück und Uckermarck. Sie wurden verfolgt, inhaftiert auch ermordet. – Ihr seid nicht vergessen“ (8)

Gedenkfeier in Ravensbrück am 1. Mai 2022

Anmerkungen:

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%A4ngeviertel_%28Hamburg%29

(2) https://www.lsvd.de/de/ct/1022-Paragraph-175-StGB-Verbot-von-Homosexualitaet-in-Deutschland

(3) Ilse Kokula: Jahre des Glücks, Jahre des Leids. Gespräche mit älteren lesbischen Frauen. Dokumente. Kiel 2. Aufl..  1990 S. 81-82.

(4) zitiert.nach Ilse Kokula: Zur Situation lesbischer Frauen während der NS-Zeit. In: beiträge zur feministischen theorie und praxis. Nirgendwo und überall Lesben. S. 34.

(5) in: Angelika Ebbinghaus (Hrsg.in), Opfer und Täterinnen, Frauenbiografien des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1996, S.104.

(6) siehe auch den Film: Verzaubert. Lesben und Schwule erzählen Geschichte. 1992. Leider nur noch in Archiven zu finden.

(7) Claudia Wagner: „Ein Stolperstein für lesbische NS-Opfer. Dem Vergessen entreißen“ in: Escape Hamburgs Magazin für Lesben Nummer 9 September 2009 S.4f.

(8) Jana Dennwitz: Gedenkkugel in Ravensbrück. Lesbische Geschichte wird sichtbar. Tagesspiegel 5.5.2022.

https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/gedenkkugel-in-ravensbrueck-lesbische-geschichte-wird-sichtbar/28308604.html

und

Janka Kluge: Ein langer Weg. Ravensbrück: Gedenkkugel zur Erinnerung an lesbische Opfer kann endlich kommen in: antifa September/Oktober 2021 S.13.


Literatur:

Angelika Ebbinghaus (Hrsg.in): Opfer und Täterinnen, Frauenbiografien des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1996.

Ilse Kokula: Jahre des Glücks, Jahre des Leids. Gespräche mit älteren lesbischen Frauen. Dokumente, Kiel 2. Aufl. 1990.

Claudia Wagner: „Ein Stolperstein für lesbische NS-Opfer. Dem Vergessen entreißen“ in: Escape Hamburgs Magazin für Lesben Nummer 9 September 2009 S.4f.

Claudia Schoppmann:

  • Verbotene Verhältnisse. Frauenliebe 1938–1945. Berlin 1999.
  • Zeit der Maskierung. Lebensgeschichten lesbischer Frauen im „Dritten Reich“. Orlanda Frauenverlag. Berlin 1993. 2. Auflage. Frankfurt am Main 1998.
  • Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität. Centaurus, Pfaffenweiler 1991. 2. überarbeitete Auflage 1997.

Anna Hajkova:

  • Eine unbequeme Geschichte – Warum wir eine queere Geschichte des Holocaust brauchen, in: Erinnern in Auschwitz auch an sexuelle Minderheiten, Johanna Ostowska, Joanna Talewiez-Kwiatkowska, Lutz van Dijk (Hrsg.). Berlin 2020, S. 150–154.
  • Menschen ohne Geschichte sind Staub. Homophobie und Holocaust. Göttingen 2021.

Anmerkung zum Forschungsstand 2022:

Gerade Mehrfachverfolgungsgründe werden in der neueren Forschung besonders untersucht. Und Lesben waren nicht nur Opfer des Nationalsozialismus, sondern auch unter den Täterinnen. Sie werden in neueren Forschungen ins Blickfeld genommen.

Zu erwähnen sei hier noch Margot Heumann, die an drei Orten in Hamburg inhaftiert war.

https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/nachrichten/news/margot-heumann-gestorben/

und

https://theconversation.com/lgbt-history-the-amazing-life-of-margot-heuman-how-theatre-gave-voice-to-a-queer-holocaust-survivor-176720

und

https://de.wikipedia.org/wiki/Margot_Heumann


Bild-/Videonachweis:

Bilder Gedenkveranstaltung und Stolperstein Reingard Wagner, Foto vom ehemaligen Polizeigefängnis Hütten Annette Falck, Fotos Escape Jule P. Ropers; Film von Maxime Lequeux und Emilia Tschertkowa


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